Eine lückenlose und ordnungsgemäße Kassenführung ist für bargeldintensive Betriebe eine essenzielle Pflicht, § 146 Abs. 1 Satz 1 AO. Kasseneinnahmen und Kassenausgaben müssen festgehalten werden, § 146 Abs. 1 Satz 2 AO. Das Finanzgericht Münster hat mit Urteil vom 20.12.2019 (Az. 4 K 541/16 E G U F) klargestellt: Mängel in der Kassenführung können die gesamte Buchführung entwerten und eine Schätzung durch das Finanzamt rechtfertigen, § 162 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AO.
Insbesondere Gastronomiebetrieben sind von dieser Möglichkeit betroffen. Die naturgemäß hohen Bargeldumsätze stellen ein erhöhtes Manipulationsrisiko dar, die Einnahmen sind oft nicht direkt nachprüfbar.
Wann liegen gravierende Mängel in der Kassenführung vor? Typische Fehler sind
Fehlende Tagesendsummenbelege oder Kassenberichte
Unvollständige oder widersprüchliche Kassenaufzeichnungen
Fehlende oder nicht nachvollziehbare Geldverkehrsrechnungen
Manipulationsmöglichkeiten durch offene Ladenkassen oder nicht zertifizierte Kassensysteme
Fehlende Einzelaufzeichnungen trotz Pflicht zur Nutzung elektronischer Kassensysteme
Bei Vorliegen solcher Mängel ist das Finanzamt berechtigt, eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vorzunehmen. Diese erfolgt regelmäßig auf Basis eines (Un-)Sicherheitszuschlags.
Eine exakte Ermittlung der nicht erfassten Einnahmen ist dabei nicht erforderlich, solange die Schätzung insgesamt schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig ist. Die Besteuerungsgrundlage ist durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen so zu bestimmen, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahekommt. Aber wie hoch darf der Sicherheitszuschlag sein? Abhängig vom Einzelfall sind in der Praxis Zuschläge von bis zu 10 % der erklärten Einnahmen üblich.
Dabei verstößt eine Schätzung auch nicht gegen das Verböserungsverbot (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO)! Das Finanzgericht darf im Steuerprozess die Steuerlast des Klägers zwar nicht über die angefochtene Steuerfestsetzung hinaus erhöhen.
Aber: Eine Schätzung durch das Finanzamt ist keine Verböserung im technischen Sinne. Die Schätzung dient bei verworfener Buchführung der Sicherstellung einer realitätsnahen Besteuerung und korrigiert nur die Besteuerungsgrundlage.
Gerade in der (bargeldintensiven) Gastronomie müssen Unternehmer auf eine ordnungsgemäße Kassenführung achten und sicherstellen. Warum greifen wir diese Entscheidung auf? Auch uns wurde in einem Besteuerungsfall die 10%-Regel entgegengehalten. Doch wir konnten erreichen, dass dieser Sicherheitszuschlag auf nur 4% reduziert wurde. Es kann sich also lohnen, standhaft zu bleiben.